Sueddeutsche.de Zum Tod des Fluxus-Künstlers George Brecht
06.12.2008 05:00 Uhr
Inkognito als Erfolg
Zum Tod des Fluxus-Künstlers George Brecht
"Here lives G. Brecht since 1972' - das Präsens verrät, dass es sich bei dem Schild, das der amerikanische Fluxus-Künstler Allan Kaprow Anfang der achtziger Jahre am Haus seines Freundes anbrachte, um eine "Gedenktafel zu Lebzeiten" handelte. Der Geehrte hatte allerdings weder die Zeremonie im Kreis geladener Freunde vor dem Mehrfamilienhaus im Kölner Stadtteil Sülz bemerkt, noch die Tafel. Etwas später zog er fort, in eine Straße, die nicht einmal im Stadtplan eingetragen war. Das Inkognito verzeichnete der Kunsthistoriker Dieter Daniels als Erfolg: "George Brecht hat es geschafft, trotz seiner einstigen Berühmtheit vergessen zu werden."
Als das Kölner Museum Ludwig ihm vor drei Jahren eine Werkschau ausrichtete, waren auch Kenner erstaunt, dass der Amerikaner seit mehr als zwei Jahrzehnten im Deutschland wohnte; für die Kunstgeschichte ist sein Name mehr als eine Fußnote. Spätestens seit die Fluxus-Bewegung hoch geschätzt wird, gilt sein Werk als herausragende Position, die radikale Ansätze von Marcel Duchamp und John Cage gleichermaßen fortschreibt. George Brecht habe "eine Menge Anerkennung dafür verdient, dass er das Readymade ins Reich der Aktion erweitert hat", postulierte George Maciunas, der Gralshüter der Bewegung.
Und wenn sich schon seine Verdienste um die Kunst nicht leicht auf den Punkt bringen ließen, dann war auch die Person nicht zu greifen - das Unterlaufen von Kategorien wie Werk und Vita gehörte zum Konzept. Künstler, die erfolgreich sein möchten, dürfen sich nicht verhalten wie Literaten, sagte ein Museumsdirektor über George Brecht: Wie konnte der die New Yorker Galerien verlassen, um Mitte der sechziger Jahre irgendeiner Frau nach Europa zu folgen und dort auch noch permanent die Adresse wechseln - wo schon die Namenszeile das unbekümmerte Spiel mit den Verbindlichkeiten der eigenen Existenz andeutet. Brecht wurde nämlich als George MacDiarmid am 27. August 1926 in New York City geboren, den Namen Brecht las er im Schwarzwald auf, wo er als Freiwilliger stationiert war.
Nach seiner Rückkehr in die USA beginnt er eine Doppelkarriere als Wissenschaftler und Maler, indem er am College in Philadelphia Chemie studiert und sich gleichzeitig an der Kunstschule in den Fächern Zeichnen, Ölmalerei und Bildhauerei fortbildet. Als Chemiker bei Johnson & Johnson erfindet er den Tampon, als Maler experimentiert er mit Bildern, die vollkommen zufällig entstehen, bekleckert Stoffbahnen mit Tinte und lässt Murmeln im Wäschetrockner das Werk vollenden. Mit "Chance-Imagery" schreibt er eine Geschichte des Zufalls in der Kunst, entdeckt Marcel Duchamp und Robert Rauschenberg und sucht die Bekanntschaft mit dem Komponisten John Cage, dessen Schüler er wird.
Bald komponiert er erste "Partituren" für Aktionen - ausdauernd poliert er eine Geige mit Zitronenöl, leise verschüttet er Wasser oder orchestriert einen Parkplatz voller Autos: Scheinwerferblinken, Hupgeräusche, Motorlärm und das Schleifen der Scheibenwischer werden im "Motor Vehicle Sundown (Event)" zum Ereignis. Mit dem "Event" hat George Brecht das Readymade auch in die Koordinaten der Zeit eingeschrieben - fortan kann das Bedienen des Lichtschalters zur Aufführung werden. "Toward events: an arrangement" heißt seine erste Ausstellung im Jahr 1959 in der New Yorker Reuben Gallery. Die Festivals, die Anfang der sechziger Jahre unter dem Kunstbegriff "Fluxus" in Köln, Kopenhagen, Amsterdam, Wiesbaden oder Düsseldorf stattfinden, versorgt Brecht mit Partituren. Gleichzeitig baut er Objektkästen, die er als "Seiten" eines Buches versteht, als das er sein Oeuvre fortan begreift: "The Book of the Tumbler on Fire", wer sich die Titelzeile als Bild des "brennenden Bechers" vorstellt, spürt, wie Brechts Sprache das Objekt attackiert.
Die Wortschöpfung "Heterospektive" überschrieb im Jahr 2005 die Kölner Schau, die sich dieser Vielheit stellte. Die Kuratoren fächerten Spielkarten auf, reihten Objektkästen neben Landkarten und Vitrinen voll langsam wachsender Kristalle. Ein Abgleich zwischen "Event"-Karten und Arrangement zeigte, dass George Brecht, der das Spiel als zentrale Metapher seiner Arbeit verstand, offensichtlich jede Variation als neue Partie (gegen das Museum) angelegt hat: Wenn das "Chair Event" verlangt, dass auf einem Stuhl neben Reibe, Maßband und Spektralfarben auch das Alphabet ausgelegt wird, dann können das Buchstabenplättchen sein, aber auch eine Kugel voller Versalien.
George Brecht ist in der Nacht zum Freitag in einem Kölner Pflegeheim gestorben. Sein Werk wird in seiner vorsätzlichen Unabgeschlossenheit eine Herausforderung bleiben, die nicht nur die Kunstgeschichte, sondern auch Wortgewandtheit und Spielgeist von Kuratorengenerationen auf die Probe stellen wird. CATRIN LORCH
Inkognito als Erfolg
Zum Tod des Fluxus-Künstlers George Brecht
"Here lives G. Brecht since 1972' - das Präsens verrät, dass es sich bei dem Schild, das der amerikanische Fluxus-Künstler Allan Kaprow Anfang der achtziger Jahre am Haus seines Freundes anbrachte, um eine "Gedenktafel zu Lebzeiten" handelte. Der Geehrte hatte allerdings weder die Zeremonie im Kreis geladener Freunde vor dem Mehrfamilienhaus im Kölner Stadtteil Sülz bemerkt, noch die Tafel. Etwas später zog er fort, in eine Straße, die nicht einmal im Stadtplan eingetragen war. Das Inkognito verzeichnete der Kunsthistoriker Dieter Daniels als Erfolg: "George Brecht hat es geschafft, trotz seiner einstigen Berühmtheit vergessen zu werden."
Als das Kölner Museum Ludwig ihm vor drei Jahren eine Werkschau ausrichtete, waren auch Kenner erstaunt, dass der Amerikaner seit mehr als zwei Jahrzehnten im Deutschland wohnte; für die Kunstgeschichte ist sein Name mehr als eine Fußnote. Spätestens seit die Fluxus-Bewegung hoch geschätzt wird, gilt sein Werk als herausragende Position, die radikale Ansätze von Marcel Duchamp und John Cage gleichermaßen fortschreibt. George Brecht habe "eine Menge Anerkennung dafür verdient, dass er das Readymade ins Reich der Aktion erweitert hat", postulierte George Maciunas, der Gralshüter der Bewegung.
Und wenn sich schon seine Verdienste um die Kunst nicht leicht auf den Punkt bringen ließen, dann war auch die Person nicht zu greifen - das Unterlaufen von Kategorien wie Werk und Vita gehörte zum Konzept. Künstler, die erfolgreich sein möchten, dürfen sich nicht verhalten wie Literaten, sagte ein Museumsdirektor über George Brecht: Wie konnte der die New Yorker Galerien verlassen, um Mitte der sechziger Jahre irgendeiner Frau nach Europa zu folgen und dort auch noch permanent die Adresse wechseln - wo schon die Namenszeile das unbekümmerte Spiel mit den Verbindlichkeiten der eigenen Existenz andeutet. Brecht wurde nämlich als George MacDiarmid am 27. August 1926 in New York City geboren, den Namen Brecht las er im Schwarzwald auf, wo er als Freiwilliger stationiert war.
Nach seiner Rückkehr in die USA beginnt er eine Doppelkarriere als Wissenschaftler und Maler, indem er am College in Philadelphia Chemie studiert und sich gleichzeitig an der Kunstschule in den Fächern Zeichnen, Ölmalerei und Bildhauerei fortbildet. Als Chemiker bei Johnson & Johnson erfindet er den Tampon, als Maler experimentiert er mit Bildern, die vollkommen zufällig entstehen, bekleckert Stoffbahnen mit Tinte und lässt Murmeln im Wäschetrockner das Werk vollenden. Mit "Chance-Imagery" schreibt er eine Geschichte des Zufalls in der Kunst, entdeckt Marcel Duchamp und Robert Rauschenberg und sucht die Bekanntschaft mit dem Komponisten John Cage, dessen Schüler er wird.
Bald komponiert er erste "Partituren" für Aktionen - ausdauernd poliert er eine Geige mit Zitronenöl, leise verschüttet er Wasser oder orchestriert einen Parkplatz voller Autos: Scheinwerferblinken, Hupgeräusche, Motorlärm und das Schleifen der Scheibenwischer werden im "Motor Vehicle Sundown (Event)" zum Ereignis. Mit dem "Event" hat George Brecht das Readymade auch in die Koordinaten der Zeit eingeschrieben - fortan kann das Bedienen des Lichtschalters zur Aufführung werden. "Toward events: an arrangement" heißt seine erste Ausstellung im Jahr 1959 in der New Yorker Reuben Gallery. Die Festivals, die Anfang der sechziger Jahre unter dem Kunstbegriff "Fluxus" in Köln, Kopenhagen, Amsterdam, Wiesbaden oder Düsseldorf stattfinden, versorgt Brecht mit Partituren. Gleichzeitig baut er Objektkästen, die er als "Seiten" eines Buches versteht, als das er sein Oeuvre fortan begreift: "The Book of the Tumbler on Fire", wer sich die Titelzeile als Bild des "brennenden Bechers" vorstellt, spürt, wie Brechts Sprache das Objekt attackiert.
Die Wortschöpfung "Heterospektive" überschrieb im Jahr 2005 die Kölner Schau, die sich dieser Vielheit stellte. Die Kuratoren fächerten Spielkarten auf, reihten Objektkästen neben Landkarten und Vitrinen voll langsam wachsender Kristalle. Ein Abgleich zwischen "Event"-Karten und Arrangement zeigte, dass George Brecht, der das Spiel als zentrale Metapher seiner Arbeit verstand, offensichtlich jede Variation als neue Partie (gegen das Museum) angelegt hat: Wenn das "Chair Event" verlangt, dass auf einem Stuhl neben Reibe, Maßband und Spektralfarben auch das Alphabet ausgelegt wird, dann können das Buchstabenplättchen sein, aber auch eine Kugel voller Versalien.
George Brecht ist in der Nacht zum Freitag in einem Kölner Pflegeheim gestorben. Sein Werk wird in seiner vorsätzlichen Unabgeschlossenheit eine Herausforderung bleiben, die nicht nur die Kunstgeschichte, sondern auch Wortgewandtheit und Spielgeist von Kuratorengenerationen auf die Probe stellen wird. CATRIN LORCH
Labels: Fluxus, George Brecht, Sueddeutsche Zeitung
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