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Sunday, May 17, 2009

Die Wunden der Zeit - Intermedia 69 - 40 Jahre danach


Verhüllung des Heidelberger Amerikahauses durch den Künstler Christo im Jahre 1969 (Bild: Archiv Jochen Goetze) Die Wunden der Zeit

Heidelberger Kunstverein zeigt "Intermedia 69 - 40 Jahre danach"
Von Johannes Halder


Über 5000 Zuschauer kamen 1969 zum Fluxus-Festival nach Heidelberg, veranstaltet vom Politkünstler Klaus Staeck und dem Historiker Jochen Goetze. Höhepunkt der dreitägigen Aktion war die Verhüllung des Heidelberger Amerikahauses durch Christo. Der örtliche Kunstverein hat das denkwürdige Kapitel der Heidelberger Stadt- und Kunstgeschichte in einer Ausstellung rekonstruiert.

(Mitschnitt einer Körpermalaktion)
"Blut! Haha, was ist schon Blut! Scheiß Wasserfarbe ist es! Und damit fangen wir an. Wir wollen kein Blut! Wir können ohne Blut unser Ego verlieren ... "

Ziemlich wild ging es zu, aber ohne Blutvergießen, wie man hört. Heidelberg im Mai 1969: Studenten bemalten sich die nackten Körper, ein Motorrad kurvte durch die Aula der Universität, der Wasserkünstler Klaus Rinke schoss eine Fontäne in den Himmel, Günther Uecker hob im Garten des Kunstvereins eine Pfahlgrube aus, Daniel Spoerri servierte in der Mensa ein "Transsylvanisches Gulasch" und die Undergroundband Guru Guru heizte musikalisch tüchtig ein.

Dem Intermedia-Initiator Klaus Staeck, damals studentischer Tutor am juristischen Seminar und noch weit davon entfernt, ein bekannter Politkünstler zu sein, ging es vor allem um eines:

"Es war für uns an der Zeit, Dinge, die wirklich die Kunst auch bewegt haben, in Heidelberg zu zeigen."

Mitmachkunst war damals angesagt: Happenings, Performances, politische Aktionen. Also lud man den Fluxus-Guru Wolf Vostell an den Neckar, auch Joseph Beuys sollte kommen. Dass beide miteinander zerstritten waren und eine Teilnahme ablehnten, war halb so schlimm, sagt Staeck, es kamen dafür 80 andere, die allerdings nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen wurden.

"Wir waren neugierig auf das, was an Kunst im Umfeld auch der Bewegung 68 geschah, wobei 68 absolut auch eine kunstfeindliche Bewegung war. Also die Studenten waren keineswegs Leute, die mit der bürgerlichen Beschäftigung Kunst, wie sie es nannten, etwas zu tun haben wollten."

In drei Kapiteln erzählt die Ausstellung jetzt die Situation von damals nach. Auf der einen Seite hat man versucht, einen Teil der harmlos biederen Jubiläumsschau des Kunstvereins von damals zu rekonstruieren, das bürgerliche Umfeld also; daneben lässt man die radikal politisierte Studentenszene der Universitätsstadt wieder auferstehen, mit Fotos und Pamphleten, und quasi eingekeilt zwischen diese beiden Lager dokumentiert man das Intermedia-Festival, mit Texten, Fotos und Plakaten, mit Flugblättern, Filmen und originalen Objekten.

Höhepunkt des Festivals war Christos Verhüllung des Heidelberger Amerikahauses mit weißen Stoffbahnen - eine spontan improvisierte Aktion, von der sich Christo heute eher distanziert. In seinem offiziellen Werkverzeichnis taucht sie gar nicht auf.

"Es war zu unperfekt, was mich und uns gerade gereizt hat. Es war wie so ein sich auflösender Verband. Also die Verwundungen der Zeit, wenn man es interpretieren möchte, die wurden sehr deutlich an diesem doch großen Haus, das wir da verhüllt hatten. Christo steht nicht unbedingt dazu, aber es war trotzdem der Mittelpunkt der ganzen Veranstaltung, was da geschah."

Die Wunden der Zeit - das war fast wörtlich zu nehmen: Es war ein Glück, dass bei den waghalsigen Kletterpartien auf dem Dach des Hauses nichts passierte. Denn nachdem eine Studentengruppe keine Lust mehr hatte, dem Verhüllungskünstler zur Hand zu gehen, war eine Lehrerin mit ihrer Schulklasse eingesprungen, um die Stoffbahnen von oben über die Fassade herunter zu lassen.

"Es war im Nachhinein der helle Wahnsinn! Wenn da nur einer den Weg nicht über die Treppe, sondern übers Dach zurückgenommen hätte nach unten, wäre das furchtbar gewesen. Und es waren auch viele Schäden entstanden, weil Kreativität für viele Leute damals auch bedeutete, auch Kaputtmachen, also nicht bloß kreativ mit Material umgehen, sondern auch zerstören."

Nicht nur, dass prompt politische Parolen auf den weißen Stoffbahnen prangten: "Kultur + Napalm, Amis raus aus Vietnam!" stand ohnehin schon auf der Fassade, und linke Studenten hatten aus Protest sogar gedroht, die Hülle anzuzünden.

"Wir hatten zwei Gegner, wenn Sie so wollen: die brave Bürgerlichkeit in Heidelberg, und wir hatten die pseudorevolutionären Studenten, die das Amerikahaus als die Quelle alles Bösen ansahen. Und da wir es verpackt hatten, war es plötzlich ein Gegenstand ihrer Begierde."

Das Ästhetische und das Politische, es war schon damals nur schwer zu vereinen. Pflastersteine waren ein beliebteres Argument in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung als künstlerische Aktionen. Auch Jörg Immendorff, damals noch erklärter Maoist, ließ in Heidelberg eine Rechnung offen.

"Finanziell war es insofern ein Desaster, als dann der Kollege Immendorff ein kleines Flugblatt mit Wasserglas leider an den Thermopen-Scheiben des Klubhauses befestigt hatte und wir, als wir daran gingen, die Schäden zu beseitigen, feststellten, das geht nie mehr ab und die ganzen Scheiben ausgewechselt werden mussten."

Am Ende blieb nicht nur eine allgemeine Irritation des Publikums, das die künstlerischen Gesten des ganzen Spektakels nicht so recht zu deuten wusste. Für die Veranstalter blieb auch ein Schuldenberg, an dem sie noch eine Zeit lang zu tragen hatten.

"Das war schon ein bitteres Erbe. Trotzdem war es eine großartige Veranstaltung. Aber so einen Wahnsinn habe ich in meinem Leben dann doch nie wieder begonnen. Einmal reicht das."

Service:
Die Ausstellung "Intermedia 69 - 40 Jahre danach" ist im Heidelberger Kunstverein bis zum 23. August 2009 zu sehen.

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